
Logroño – Navarrete
11. AUGUST 2018

Nach Logroño kommen wir mit einem Zug aus Bilbao. Deswegen starten wir ziemlich spät in voller Sonne und Hitze.
Zuerst führt der Weg noch relativ lange durch die Stadt selbst, wir nutzen also so gut es geht den Schatten der Häuser. In einem Supermarket gönnen wir uns noch ein Eis. Am Rande der Stadt verläuft der Camino über eine große Parkanlage mit riesigen Oleandersträuchen, schlanken Zypressen und Bewässerungsvorrichtungen mit kleinen Regenbögen, die sich über die Wasserstrahlen auffächern.





Wir entdecken auch interessante Bäume an denen lange gelbliche Blätter wie Schleifen runterhängen.


Dann führt der Weg ein Stück in der prahlen Sonne direkt am Stausee – Pantano de la Grajera. Mehrere Fahrradpilger sausen an uns vorbei. Ein Fahrrad hätte ich jetzt auch gerne um aus der Sonne schnell zu verschwinden. Gleich danach kommt zum Glück ein Stückchen Wald mit ein paar Bänken, auf die wir uns dankbar fallen lassen. Um uns herum toben sich Eichhörnchen aus.
Westlich vom Stausee treffen wir auf eine kleine Holzhütte – Ermita del Peregrino Pasante. Marcelino ist ein Camino-Urgestein. Seit den 70er Jahren ging er den Weg schon viele Male. In den 80er tat er das sogar in mittelalterlicher Kleidung, die er selbst angefertigt hatte. Jetzt begrüßt er die anderen Pilger, die an seiner Einsiedelei vorbeikommen. Auch wir lassen unsere Pilgerpäße bei ihm stempeln und füllen unsere Wasserflaschen auf.


Das höre ich immer wieder – wenn man einmal auf den Geschmack des Jakobwegpilgerns gekommen ist, lässt es einen nicht mehr los. Stimmt wohl, denn ich gehe den Weg nun zum dritten, und ich hoffe sehr nicht zum letzten, Mal. Aber was ist denn das Pilgern eigentlich? Interessanterweise hat fast jede Religion der Welt ihre Pilgerorte, -bräuche, -vorschriften.
Zwei Elemente finden sich in all diesen Pilgerreisen wieder – das Ziel, das meistens ein Heiligengrab oder ein Erscheinungsort ist, und der Weg den man, in der Menschheitsgeschichte meistens zu Fuß, zurücklegt und dabei auch schon unterwegs bestimmte religiöse Praktiken ausübt.


Warum sagt man heute, gerade über den Jakobsweg, der Weg sei das Ziel? Vermutlich um die Rolle des Wegs zu betonen. Heutzutage braucht man sich nur in ein Flugzeug setzen um nach Santiago, Rom oder Jerusalem zu kommen.
Das ist sehr praktisch und bequem, man läuft aber Gefahr zu vergessen, dass man sich auf den Besuch eines heiligen Orts vorbereiten muss. Das Weg selbst ist also durchaus ein wichtiger Grund, warum man die Reise macht. Verlieren wir aber andererseits das Ziel aus den Augen, verliert der Weg seinen Sinn.
Was das Pilgern so universal macht ist, dass es eigentlich ein Sinnbild des Lebens ist. Genauso kommt es im Leben auf die zwei Sachen an: auf das Ziel, das wir am Ende erreichen wollen und darauf, wie wir den Weg gehen. Leider scheint es für viele heutzutage tatsächlich der Weg zum Ziel geworden sein. Und dann wird aus der (Lebens)pilgerreise eine einfache Wanderung. Die kann schön sein und tut auch gut, es kann aber schnell passieren, dass man sich eigentlich nur im Kreis dreht und zwar um sich selbst. Und seien wir mal ehrlich, wenn es kein Ziel gibt, warum soll man sich dann unterwegs überhaupt anständig benehmen? Wenn der Weg schon alles ist, ist doch der eigene Spaß das einzige was dabei zählt.
Der Weg führt jetzt auf und ab durch grüne oft mit Weinbergen bedeckte Hügel, dann ein langes Stück entlang der Hauptstraße, und das praktisch ohne Schatten. Auf dem Mittelstreifen wieder herrlich blühende Oleander, abwechselnd weiß und rosa. Seit meinem vorletzten Besuch in Rom bin ich ein Riesenfan von diesen Sträuchen

Ich habe sogar zu Hause einen, den ich vom Samen aufgezogen habe und der nun seit drei Jahren weiß blüht – die einzige Pflanze außer Aloes, die es mit mir aushält. Links auf dem Hügel eine Stier-Silouette weist in die andere Richtung wahrscheinlich nach Pamplona.


Endlich erscheint vor uns Navarrete. Wir laufen jetzt auf einem Schotter-Sand-Pfad zwischen den Weinbergen. Die Mischung aus Sonne, Hitze und Staub macht uns echt zu schaffen. Die Weinwerbung direkt am Weg mach einem den Durst noch bewusster. Der Schild „Hospital de Peregrinos San Juan de Acre“ bezieht sich leider nur auf die 30 cm hohe Ruine an der wir vorbeilaufen. Wir müssen also noch weiter.


In der Herberge angekommen, gönnen wir uns zuerst eine kalte Limonade und ein paar Stunden Schlaf und am Abend gehen wir wieder ins Zentrum zur Vorabendmesse. Am Ende des Gottesdienstes höre ich zum ersten Mal das spanische Original des Lieblingsliedes von Johannes Paul II:
Señor, me has mirado a los ojos / sonriendo has dicho mi nombre / en las arena he dejado mi barca / junto a ti buscar otro mar
– O Herr, Du hast mich dort schon gesehen / deine Lippen sprachen aus meinem Namen / Mein Boot lass ich am Ufer von nun an / mit Dir, Jesus, beginn’ ich meinen Fang


Befinde ich mich auf dem Weg, auf den Jesus mich gerufen hat? Gehe ich Ihm nach, oder drehe ich mich gerade im Kreis um mich selbst? Diese Frage muss ich mir immer wieder stellen und notfalls den Kurs korrigieren.
In der Kirche steht eine Figur des Heiligen Rochus. Mittlerweile verwechsle ich ihn nicht mehr mit Jakobus – der Rochus hat meistens einen Hund bei sich und Wunden an den Knien. Aber warum? Das muss ich noch nachforschen.


Jetzt gönnen wir uns zuerst die berühmte Knoblauchsuppe, die noch auf dem Tisch blubbert, und guten Rotwein – schließlich sind wir immer noch in La Rioja.

Logroño

Navarrete - Najera
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