
Navarrete – Najera
12. August 2018

Na das war mal eine Leistung, noch vor dem Sonnenaufgang sind wir unterwegs schon mit Kaffee intus. Das Gehen beim Sonnenaufgang erinnert mich jedes Mal an die Fußpilgerfahrten zu unserem nationalen Mariensanktuarium.
Und da gibt es ein besonderes Lied, das mir jedes Mal ins Gedächtnis kommt, wenn ich die aufgehende Sonne sehe. An den Text erinnere ich mich leider nur bruchstückhaft, also hole ich mein Handy aus der Tasche und prompt finde ich online die richtige Aufnahme. Meine Mutter liebt auch das in Deutschland lange in Vergessenheit geratene kleine marianische Brevier oder mit vollem Titel: „Tagezeiten von der unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria“.


Ich weiß noch als Kind in unserer Dorfkirche, die Frauen haben es immer vor der Frühmesse gesungen und dann eben auf den Fußwallfahrten beim Sonnenaufgang als erstes Lied und erstes Gebet.
Eya, Lippen mein! zur Stund‘ öffnet euch und machet kund Lobgesang und Preis gar hehren, zu der sel’gen Jungfrau Ehren.

Bei dem Titel muss ich allerdings jedes Mal lächeln. Ich erinnere mich nämlich an all die Gespräche, Fernsehberichte und Artikel in denen das unbefleckte mit dem jungfräulichen Empfängnis verwechselt wird. Dabei reicht es eigentlich in den Kalender zu schauen, und alles wird klar. In März, neun Monate vor Weihnachten feiern wir Verkündigung des Herrn, den Tag an dem Jesus in Mariens Schoss jungfräulich empfangen wurde, durch den Heiligen Geist. Der Fest des Unbefleckten Empfängnis aber feiern wir am 8. Dezember und zwar genau neun Monate vor dem 8. September – Marias Geburt. Da gedenken wir nämlich, dass Maria von ihrer Mutter Anna empfangen wurde und zwar unbefleckt, das heißt ohne Makel der Erbsünde. Im Unterschied zu uns allen, die mit dem Sündenerbe auf die Welt kommen und erst durch die Taufe die heiligmachende Gnade empfangen, war Maria davon von Anfang an frei. Der Engel sagt ja zu ihr:
Sei gegrüßt, du Gnadenvolle!
Lk 1,28
Sie war voll der Gnade, das heißt frei von jeder Sünde, der eigenen und der Erbsünde ebenfalls.
Dich hat Gott von Ewigkeit Vorbestimmt, daß in der Zeit Uns von dir geboren werde Jenes Wort, durch das die Erde, Meer und Himmel hat erbaut, Der dich auserkor zur Braut, – Schönste, die allein aus Allen Nicht in Adam’s Schuld gefallen.


Die Morgenfrische tut richtig gut. Weinberge über Weinberge umrandet von kleinen Hügeln – eine echte Augenweide. Uns kommt’s vor wir wären in Österreich. Der Weinviertler Jakobsweg vor 5 Jahren sah ziemlich ähnlich aus. Die Sonne blinzelt vereinzelt zwischen den Wolken und das Gehen in dieser wunderschönen grünen Umgebung ist ein Genuss. Außer eines Traktors begegnen wir soweit niemandem. Auf einmal entdecken wir im Sand vor uns Fußabdrücke und zwar nicht von Schuhen sondern von nackten Füßen. Jemand geht vor uns den Jakobsweg tatsächlich barfuß. Ob das wohl eine besondere Form der Buße ist?
Unterwegs gibt es aber keine einzige Einkehrmöglichkeit. Wir schlagen also 600 m drauf und machen nach der Hälfte der Strecke einen kleinen Abstecher bzw. Umweg über Ventosa. Da entdecken wir auch den Barfußpilger. Mit seiner Gitarre und langen bunten Kleider sieht er aber eher wie ein Hippie als bußorientierter Katholik. Seine Wanderschuhe baumeln übrigens hinten am Rucksack, also womöglich wollte er einfach nur den warmen Sand über den wir laufen, hautnah erleben.



Auf der Terasse der „Buen Camino“-Bar trinken wir nun gemütlich Kaffee, essen Tortilla und Muffins, und telefonieren mit Zuhause. Mein Mann schläft vermutlich noch, aber wir rufen auf jeden Fall Papa an. Er macht sich etwas Sorgen, dass meine Mutter sich mit ihren 70 Jahren so eine Wanderung zumutet, wir melden uns also bei ihm jeden Tag.
Es geht weiter. Vor uns liegen noch 9 Kilometer. Langsam wird es richtig warm und ich spüre eine wunde Stelle an meinem Oberschenkel. Baumwollunterwäsche ist nicht automatisch das Beste für lange Wanderungen. Der Weg führt weiterhin auf Feldwegen zwischen Weinbergen und Ackern. Dann wieder ein Stück entlang der Hauptstraße, an einigen Industriegebäuden und Baustellen. Kurz vor Najera gibt es noch eine kleine Parkanlage und der Anblick der Bänke ist sehr verlockend. Wir bleiben trotzdem stark, die Perspektive in noch größerer Hitze zu laufen schreckt zu sehr ab.




An einem Betonzaun hat jemand ein Gedicht geschrieben. Mit etwas digitaler Hilfe schafe ich es zu verstehen –
Staub, Schlamm, Sonne und Regen, tausende Pilger und mehr als tausend Jahre. Was ist es also was uns auf den Weg ruft. Sind es die Rioja-Weine, die Meeresfrüchte Galiziens, die Burgen, Kirchen und Felder? Es ist eine tiefere Stimme – sagt der Poet – Ich verstehe nicht die Kraft, die mich zieht und schiebt, nur der Allerhöchste weiß es.
Jetzt laufen wir zwischen Gärten und an einem Grundstück steht unter einem Dach ein Wasserhahn, ein Tisch und zwei Bänke, auch hier hängen einige Camino-Gedichte und natürlich Pilger-Werbung. Wir kippen das lauwarme Wasser aus unseren Flaschen auf uns, machen die Hüte, Hosenbeine und Hemnden naß – in dieser Sonne trage ich vorsichtshalber lange Ärmel – und füllen unsere Flaschen wieder mit dem kalten Wasser, das uns ein netter Gartenbesitzer zur Verfügung stellt

Meine Mutter zeigt mir noch einen Trick. Fällt ihr mal eins der Wanderstöcke aus der Hand, braucht sie sich nicht zu beugen, sie schafft es tatsächlich mit einem graziösen Schwung ihn mit dem zweiten Stock hochzukriegen. Ich filme sie dabei natürlich. Diesmal bin ich tatsächlich mit einer echten Kamera unterwegs. Im Laufe meiner Caminos habe ich gelernt, das Gepäck auf das Nötigste zu reduzieren, diesmal steht aber für mich fest – ein ordentliches Urlaubsvideo gehört dieses Jahr zu dem nötigsten dazu und dafür bin ich bereit die 400 g mehr zu schleppen. Der Unterschied zu Handy-Filmen ist enorm. Erstens, was viele übersehen, bei einem Objektiv von Stecknadelkopfdurchmesser helfen auch keine 20 Megapixel um gute Bildqualität zu bekommen. Zweitens anders als die Handys, hat meine neue Kamera eine mechanische Bildstabilisierung und damit kann man tatsächlich im Gehen filmen. Versucht man das mit Handy zu tun, bringt auch Nachbearbeitung nicht wirklich viel – das Bild wackelt so, dass einem beim Schauen fast schwindlig wird.
In der Stadt ist die Hitze noch schlimmer und unser Hostel ist wieder erst am Ende der Ortschaft, also stürzen wir uns auf die erste offene Bar und genießen zuerst einen kalten Cidre und großes Schinkenbaguette. In der Bar läuft die Klimaanlage und sie wieder zu verlassen ist gar nicht leicht, das Bett wartet aber lediglich 900 Meter weiter.

Wir müssen noch zuerst durch die Brücke über den Najerilla-Fluss in die Altstadt. Dieses Teil von Najera scheint an die steile rotbraune Felswand angeklebt zu sein und irgendwie beunruhigt mich der Anblick. Zum Glück ist unser Hostel nicht so nah daran, aber der Monasterio de Santa Maria la Real paar Hundert Meter weiter ist glaube ich zum Teil sogar in der Wand gebaut.
Die schmalen Gassen hier sind mit bunten mittelalterlich aussehenden Fähnchen geschmückt. Anscheinend gibt es hier um die Zeit eine Fiesta.


Im Zimmer angekommen lade ich zuerst paar Fotos auf meinen Blog hoch und dann wird geschlafen. Der Rhythmus auf dem Camino entspricht mehr oder weniger dem Rhythmus der Menschen, die hier leben. Man versucht sein Wandertagespensum vor der Siesta zu schaffen und dann in der heißesten Zeit des Tages fällt man erstmals totmüde ins Bett. Nach einem ordentlichen Nickerchen, kann man sich dann um Essen oder Ortsbesichtigung kümmern sobald die Läden und Lokale nach 17 Uhr wieder aufmachen.
Heute ist Sonntag und laut den Informationen im Internet müsste es am Abend in der Kreuzkirche eine Heilige Messe geben. Nur leider finden wir die Kirche abgesperrt vor. Zum Glück hat es gestern mit der Vorabendmesse geklappt. Für heute steht also nur noch ein Punkt auf dem Programm – das Abendessen. Bei der Hitze hat man aber auch nicht wirklich Appetit. Wir teilen uns also die eine Portion Putenbrust mit Salat und Pommes und stocken unsere Wasservorräte auf.

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