
Lesungen
Schauen wir uns nun die Wortgottesliturgie in der „alten“ Messe an.
Zuerst gibt es eine, meistens eine, Lesung aus der Heiligen Schrift außerhalb der Evangelien. Da hierfür manchmal auch das Wort Epistel verwendet und man auch im Bezug auf den Altar über die Epistelseite und Evangelium-Seite spricht, könnte man vermuten, dass die Lesung lediglich aus den Apostelbriefen entnommen wird. Das ist aber nicht der Fall. Wenn man in das Missale schaut, gibt es auch jede Menge Lesungen aus dem Alten Testament, wie wir noch später sehen werden. Auf die Lesung antworten die Gläubigen mit
Deo Gratias
d.h. Dank sei Gott.
Anschließend gibt es ein Zwischengesang, das vom Priester gebetet wird und in gesungenen Messen von der Schola gesungen. Eigentlich besteht es aus zwei Teilen:
- * während des Jahres: Graduale und Hallelujavers,
- * in der Vorfasten- und Fastenzeit Graduale und Tractus
- * und in der österlichen Zeit zwei Hallelujaverse.
Beide Texte stammen aus den Psalmen, meistens sind es relativ kurze Abschnitte, manchmal aber auch deutlich längere, wie wir am Beispiel vom ersten Fastensonntag sehen werden, wo es fast der ganze Psalm 90 ist. Wie ich schon vorher angedeutet habe, gibt es aber auch Tage im Jahr, wo es mehrere Lesungen und auch mehrere Graduale gibt, an den Quattembrsamstagen sind es sogar 5 Lesungen und 4 Graduale. Ich will jetzt nicht auf die Quattembertage weiter eingehen, über das liturgische Jahr müsste man separate Folge machen. Ich wollte nur kurz andeuten, dass es auch schon vor dem letzten Konzil auch durchaus mehr Bibeltexte in der Liturgie gab. A propos, wenn ihr diese Serie von Anfang an verfolgt, dann wisst ihr auch, dass es auf jeden Fall in jeder Messe den Psalm 42 gleich am Anfang gibt und es kommen noch andere biblische Texte in weiteren Teilen der Messe hinzu, die es heute so nicht mehr gibt.
An einigen Tagen kommt vor dem Evangelium noch die Sequenz. Es sind mehrstophige Gesänge, die alle aus den XI-XIII Jh. stammen. Zwei davon sind bis heute sogar geblieben und zwar Victimae paschali laudes zu Ostern und Veni Sancte Spiritus zu Pfingsten. Zwei weiteren, die es in der alten Messe gibt, nämlich Lauda Sion Salvatorem zu Fronleichnam und Stabat Mater am Gedächtnis des Schmerzen Mariens sind in der postkonziliaren Liturgie fakultativ zugelassen, ich habe sie aber in den 44 Jahren die ich lebe noch nie gehört. Die fünfte Sequenz gibt es in den Requienmessen und hierzu ein interessantes Zitat aus Wikipedia:
Das Dies irae wird in der Liturgie der ordentlichen Form des römischen Ritus nach dem neuen Messbuch aufgrund des Bildes eines zornigen Gottes („Tag des Zornes…“), das die Sequenz vermittelt, nicht mehr verwendet, ist jedoch beim großen Requiem zu Allerseelen zugelassen, damit der Schatz der Kirchenmusik gepflegt werden kann.
Also im Klartext: abgeschafft, weil es dem heutigen Menschen nicht mehr passt aber um das musikalische Kulturgut nicht verschwinden zu lassen einmal im Jahr evtl. erlaubt, an Allerseelen wo kaum jemand in die Kirche kommt, weil die meisten die Gräber schon am Allerheiligen besucht haben und um Himmelswillen auf keinen Fall bei anderen Requiemmessen, um die Kirchenbesucher nicht abzuschrecken die schon eh nur zu Hochzeiten und Begräbnissen in die Kirche kommen.
Apropos Hochzeiten, früher gehörte die Lesung aus dem Epheserbrief Kapitel 5 zu jeder Brautmesse, aber das darf man modernen Katholiken natürlich auch nicht bieten, es gibt sie zwar noch im Lektionar als eine von 18 Optionen. Ich gebe zu, wir haben sie bei unserer Hochzeit auch nicht gewählt sondern die Lesung aus dem Buch Jesus Sirach, über den Fragment aus dem Epheserbrief habe ich aber eine Folge gemacht. Und das Evangelium in den Messen für Brautleute im alten Ritus ist immer aus dem Matthäusevangelium Kapitel 19. Heutzutage ist die Unauflöslichkeit der Ehe aber auch nur eine von 10 Optionen. Aber genug der Ironie.
Da ich gerade das Evangelium erwähnt habe, machen wir damit weiter. Nach dem Zwischengesang ggf. mit Sequenz kommt eben das Evangelium, so wie wir es auch aus der neuen Messe kennen. Es wird an der Evangelium-Seite des Altars gelesen bzw. gesungen. Das ist einerseits die vom Kreuz gesehen rechte Seite und außerdem wenn man ad orientem zelebriert ist das die Seite Richtung Norden. Das Evangelium wird Richtung Norden verkündet als Licht in die größte Dunkelheit. Ok, für die Australier ist das jetzt natürlich unlogisch, aber der Ritus stammt ja aus Rom.
Davor betet der Priester noch das Gebet Munda cor meum, das in der neuen Messe auch deutlich verkürzt wurde, deswegen schauen wir uns hier den Text an:
Munda cor meum ac labia mea, omnipotens Deus, qui labia Isaiae Prophetae calculo mundasti ignito: ita me tua grata miseratione dignare mundare, ut sanctum Evangelium tuum digne valeam nuntiare. Per Christum, Dominum nostrum. Amen
Je nach Form der Messe, darüber müssen wir auch noch mal paar Worte verlieren, gibt es dazu ggf. Prozession und Weihrauch und das Evangelium wird entweder vom Priester oder Diakon vorgetragen. Der Dialog vor dem Evangelium gleicht dem in der neuen Messe.
Dominus vobiscum.
Et cum spiritu tuo.
Sequentia sancti Evangelii secundum …
Gloria Tibi, Domine
An dieser Stelle aber eine kleine Quizfrage. Seit längerer Zeit erlebe ich in Deutschland in der neuen Messe, dass das Wort „heiligen“ weggelassen wird. Wenn jemand von euch die Ursache kennt, bitte in den Kommentaren Bescheid geben.
Die Antwort nach dem Evangelium lautet:
Laus Tibi Christe
und dann betet der Priester noch, während er den Begin des Evangeliums küsst:
Per evangelica dicta deleantur nostra delicta.
Soll ich noch etwas zu der Leseordnung sagen? Ich habe mir ein wenig die Lesungen der Fastenzeit, die demnächst beginnt nach der alten und neuen Leseordnung angeschaut und muss sagen, während sie sich bei den Tagen in der Woche mehr oder weniger decken, bis auf die Quatembertage, die es nicht mehr gibt, gibt es bei den Sonntagen schon deutliche Unterschiede. Und damit meine ich jetzt nicht einfach, dass nach dem Konzil an Sonntagen die zweite Lesung hinzugefügt wurde, sondern die Textwahl. Wenn man bedenkt, dass die meisten Katholiken nur, wenn überhaupt, sonntags zur Messe kommen, ist eigentlich logisch, dass man hauptsächlich die Sonntagslesungen angepasst hat.
Worauf schon Margarete Strauss aufmerksam gemacht hat, in der neuen Leseordnung wird die Heilige Schrift oft zensiert. Plötzlich fehlt hier und da ein Vers. Zum Beispiel Matth 21, Vers 44 ist aus der Lesung im neuen Lektionar rausgeschnitten.
Dem Aschermittwoch wurde eine zweite Lesung hinzugefügt, die in der alten Leseordnung am ersten Fastensonntag kommt. Am ersten Fastensonntag haben wir stattdessen in der neuen Leseordnung den Lobpreis Gottes für die Befreiung Israels aus Ägypten und in der zweiten Lesung über die Rechtfertigung durch Glauben. Also die Akzentverschiebung ist schon zumindest an dieser Stelle ziemlich deutlich. Bei den anderen Fastensonntagen, die ich mir angeschaut habe, ist das nicht so gravierend. Da gibt’s schon durchaus auch in der neuen Leseordnung Texte die uns zum richtigen Wandeln ermahnen. Interessanterweise am dritten Fastensonntag ist das Evangelium Lk 11,14-28 aus den Sonntagslesungen rausgefallen. Die parallele Stelle aus Markusevangelium kommt in einem der drei Lesejahre an einem Sonntag im Jahreskreis. Sie ist aber deutlich milder und schwächer. Also die ganze Passage fehlt hier wie z.B. Jesus spricht:
Wenn der unreine Geist vom Menschen ausgefahren ist, schweift er durch wasserlose Gegenden und sucht Ruhe. Und wenn er sie nicht findet sagt er: Ich will zurückkehren in mein Haus, von dem ich rausgefahren bin. Und kommt er und findet es mit Besen gereinigt und geschmückt, dann geht er hin und nimmt sieben andere Geister mit sich, die schlimmer sind als er, und sie ziehen ein und hausen dort. Und die letzten Dinge jenes Menschen werden noch ärger sein als die ersten.
Beziehungsweise vorher sagt er auch noch
Wer nicht mit mir ist, er ist gegen mich und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut
Also das sind anscheinend auch so unbequeme Worte für den heutigen Menschen.
Die Änderungen in der Karwoche sind natürlich ein separates Thema, aber nur ein paar kleine Beispiele: Am Palmsonntag gibt es im ersten Teil der Liturgie heutzutage 1 Psalm zur Auswahl statt wie vorher 3 und in der Lesung nach der Prozession ist aus dem Brief an die Philipper Kapitel 2 der Vers 5 weggefallen:
Habt diesebe Gesinnung in euch, wie sie auch in Christus Jesus war
Was ich dagegen gut finde in der neuen Leseordnung ist dass in den drei Jahren am Palmsonntag die Passion Christi aus den drei synoptischen Evangelien abwechselnd kommt. In der alten Messe gibt es die Passion nach Lukas und Markus am Dienstag und Mittwoch der Karwoche. Zweite Sache, die ich schon vorher erwähnen sollte, was mir gut gefällt in der neuen Leseordnung sind die langen Antwortsalmen aber wie schon in einer anderen Folge gesagt leider viel zu selten in Deutschland tatsächlich in Verwendung.
Was aber auf jeden Fall ein Skandal ist, ist die Kürzung der ersten Lesung im Abendmahlsamt am Gründonnerstag. Vergleichen wir die zwei Lesungen. Es ist die Einsetzung der Heiligen Eucharistie aus dem ersten Korintherbrief. Und in der neuen Version endet die Passage mit dem Satz:
Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt
Also was wurde gestrichen? Ich lese vor:
Wer also unwürdig dieses Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, wird schuldig am Leib und Blut des Herrn. Es prüfe sich aber der Mensch, und so esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Wer nämlich unwürdig davon isst und trinkt, der isst und trinkt sich das Gericht, da er den Leib des Herrn nicht unterscheidet. Deshalb gibt es unter euch so viele Kranke und Gebrechliche, und viele sind schon entschlafen. Denn gingen wir selbst mit uns ins Gericht, würden wir nicht gerichtet werden. Wenn wir aber gerichtet werden, werden wir vom Herrn gezüchtigt, damit wir nicht mit dieser Welt verdammt werden.
Und das nicht nur am Gründonnerstag. Am Fronleichnam kommt der Bericht über die Einsetzung der Heiligsten Eucharistie aus dem Korintherbrief nur noch im Lesejahr C und hier ebenfalls in der gekürzten Form.
Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: dem Prinzip des reicheren Zugangs des Volkes zum Wort Gottes folgend fand sich im dreijährigen Lesezyklus kein Platz für diesen Vers, für die Warnung vor dem unwürdigen Empfang des Leibes und Blutes Christi. Wohl alles andere als ein Versehen. Oder wie sieht ihr das? Bitte schreibt in die Kommentare.

Agnostizismus

vitale Immanenz
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